Mal ehrlich: Haben Sie auch schon mal ein Medikament in den Müll geworfen, weil die Liste der „häufigen Nebenwirkungen“ einfach gruselig lang war? Und sauer auf Ihren Arzt waren Sie auch noch, weil der nichts davon gesagt hat? Passiert tausendfach. Täglich. „Blöde Pharma-Medizin“, fluchen Sie. „Macht einen noch kränker als vorher.“ So weit, so bekannt.
Wie gut, dass es in vielen Situationen die risikolose, sprechende Therapie gibt, nicht wahr? Psychotherapie zum Beispiel. Die schlechte Nachricht: Bei einem von zehn Patienten hat diese schwerwiegende und dauerhafte Nebenwirkungen. Und damit sind diese Nebenwirkungen „häufig“, das ist die Definition für Medikamenten-Packungsbeilagen. Darunter: Verschlimmerung der Symptome, Entwicklung einer Abhängigkeit vom Therapeuten etc.
Sage nicht ich, sagt ein Psychotherapeut und Forscher, der seine eigene Zunft mal sehr ehrlich und kritisch durchleuchtet: Michael Linden, Psychiater und Psychotherapeut sowie Leiter der Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Berliner Charité. Er fordert im Interview mit dem österreichischen „Standard“, der Therapeut müsse – wie ein Arzt – seine Patienten vor dem Beginn der Behandlung über Nebenwirkungen aufklären: „Das ist die Aufgabe des Therapeuten. Er muss wissen, welche Risikofaktoren für Nebenwirkungen es gibt. Da unterscheidet sich die Psychotherapie nicht von der Pharmakotherapie – auch jemand, der eine Tablette verordnet, muss wissen, ob sein Patient irgendwelche Merkmale hat, die für diese Art Tablette vielleicht ein Risiko darstellen“.
„Genauso ist es auch bei der Psychotherapie“; ergänzt er. „Wenn ich etwa mit einem Patienten zu tun habe, der eine abhängige Persönlichkeitsstruktur hat, also immer gerne tut, was andere sagen, und selbst unsicher ist, dann muss ich wissen, dass das auch in der therapeutischen Situation so sein wird. Das sind dann Patienten, die man als Therapeut manchmal sehr mag. Die hängen einem an den Lippen und tun so, als hätte man die Weisheit zu verkünden, und in Wirklichkeit unterstützt man nur die Pathologie des Patienten und fördert seine Abhängigkeit.“
Die Forschungsaktivitäten von Linden und seinem Team sind mehr als begrüßenswert. Es wird Zeit, der Psychotherapie ihren Nimbus als „sanft, risikolos, emphatisch“ zu nehmen und klar zu machen, dass auch sie Risiken birgt. U.a weil es Therapeuten gibt, die nicht ganz wissen, was sie tun.
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Photo von Nik Shuliahin / Unsplash