Angehörige von Alkoholikern leiden manchmal sogar mehr als der Trinker selbst. Sie fühlen sich hilflos dabei zusehen zu müssen, wie ein geliebter Mensch sich zerstört und verändert.
Dahinter stecken handfeste medizinische Stoffwechselprobleme, die den Alkoholiker immer weiter in die Sucht treiben. Das ist aber nicht alles. Denn nicht selten sind Angehörige in einer Co-Abhängigkeit gefangen – auch wenn sie selbst keinen Schluck trinken.
Zugegeben, der Begriff klingt zunächst ein wenig gewöhnungsbedürftig: „Co-Abhängigkeit.“ Er bedeutet nicht, dass der Angehörige eines Alkoholikers selber trinkt. Ganz im Gegenteil. Er oder sie kann staubtrocken und abstinent leben – aber trotzdem ein Suchtproblem haben. Er oder sie ist süchtig nach der Sucht des Partners. Besser gesagt: Ein Co-Abhängiger ist süchtig nach der Rolle, die er in Bezug auf den Süchtigen spielt. Klingt immer noch schräg, stimmt.
Dabei ist das Thema wichtig. Denn so lange Co-Abhängige sich ihrer eigenen Sucht und quasi Abhängigkeit nicht bewusst werden und was daran ändern, unterstützen sie den trinkenden Angehörigen unbewusst und ungewollt in seiner Sucht und machen es ihm oder ihr viel schwerer, den Alkohol dann stehen zu lassen.
Triebfeder für eine Co-Abhängigkeit ist meistens ein eigenes psychologisches Päckchen, die Wurzeln stecken meistens in der Kindheit. Die Trennlinie ist manchmal unscharf. Wer ist sorgenvoller Angehöriger und wer ist schon Co-Abhängiger? Typisch für Co-Abhängige sind folgende Merkmale:
- Co-Abhängige brauchen es, gebraucht zu werden
- Sie suchen Bestätigung bei anderen
- Sie können sich nicht abgrenzen
- Sie leben oft in „Klammer-Beziehungen“ oder perfekten Ehen
- Sie wollen es allen recht machen.
- Sie wollen um jeden Preis gefallen
- Sie haben kein Vertrauen in ihre eigene Wahrnehmung
- Sie machen sich unentbehrlich
- Sie nehmen alles persönlich
- Sie sind nicht in Kontakt mit ihren Gefühlen oder verzerren diese
- Sie können sich nur schwer vorstellen, um ihrer selbst willen gemocht zu werden
- Sie kümmern sich mehr um andere als um sich selbst
Überlegen Sie, ob diese Dinge auf Sie zutreffen:
- Ich übernehme die Verantwortung für anderer Leute Gefühle und deren Verhalten
- Ich habe Schwierigkeiten, meine Gefühle auszudrücken
- Ich fürchte mich, wie andere auf meine Gefühle, meine Meinungen und mein Verhalten reagieren könnten
- Es fällt mir schwer, Entscheidungen zu treffen
- Ich habe Angst verletzt und zurückgewiesen zu werden
- Ich verharmlose oder verleugne, wie ich wirklich fühle
- Ich bin sehr empfindsam für die Gefühle anderer und fühle ebenso
- Es ist mir peinlich, Anerkennung und Lob anzunehmen
- Ich bin Perfektionist/in
- Ich bin außergewöhnlich loyal und verharre zu lange in nachteiligen Situationen und Beziehungen
- Ich fühle ich mich gut, wenn du mich magst
- Meine ganze Aufmerksamkeit konzentriert sich darauf, Dir zu gefallen, Dich zu beschützen, Dich zu manipulieren, Deine Probleme zu lösen
- Meine Selbstachtung steigt, wenn ich deine Probleme löse
- Ich übernehme automatisch die Verantwortung, weil es sonst keiner tun würde
Typisch ist auch ein starker Drang zu kontrollieren. Kennen Sie das:
- Ich muss gebraucht werden, um in einer Beziehung zu stehen
- Ich glaube, dass die meisten anderen Menschen unfähig sind, für sich selbst zu sorgen
- Ich werde verstimmt, wenn sich andere von mir nicht helfen lassen
- Ich gebe bereitwillig Ratschläge, ohne dass ich danach gefragt werde
- Ich versuche andere davon zu überzeugen, wie sie „wirklich“ denken und fühlen sollten
- Ich bin talentiert beim Raten wie sich andere fühlen
- Ich bin ruhig und tüchtig – wenn andere in einer Krise stecken
- Ich fühle mich großartig, wenn ich anderen helfe kann
Wenn Sie hier vieles mit „Ja“ beantwortet haben, sollten Sie in Betracht ziehen, selbst abhängig zu sein. Von Ihrem trinkenden Angehörigen. Denn er oder sie ermöglicht es Ihnen, durch seinen Alkoholismus Ihre Sucht auszuleben. So lange diese unheilvolle Beziehung nicht durchbrochen wird, gibt es für beide keine glückliche Zukunft. Denn selbst, wenn ein Alkoholiker verstirbt oder sich trennt, sucht sich ein Co-Abhängiger mit schlafwandlerischer Sicherheit wieder einen suchtkranken Partner.
Auch für Co-Abhängige gibt es Hilfe. Anlaufstellen sind wie für Alkoholiker auch die Suchtberatungsstellen. Auch Selbsthilfegruppen gibt es und sind ein wundervolles, wertvolles Mittel, der eigenen Co-Abhängigkeit zu entkommen und dabei auch gleich mit so einigen Baustellen aufzuräumen, die einem Co-Abhängigen ein glückliches, erfülltes Leben ohnehin schwer machen.
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Besonderer Lesetipp der Redaktion für Angehörige: “Rauschliebe”
Erstmals wird hier das verstörende Beziehungsmuster einer Co-Abhängigkeit aus der Perspektive einer Frau erzählt.
Mehr zum Buch von Karmen Jurela unter Buchtipps zum Thema Alkohol
Quelle der Fragen/Checkliste: Anja Siefert: Co-Abhängigkeit und Helfersyndrom. Gibt es einen Zusammenhang?
Bild von Tú Anh auf Pixabay