Doppelt so viele Führungskräfte wie einfache Arbeitnehmer sind alkoholabhängig: Jeder zehnte Chef trinkt zu viel und zu regelmäßig, von seinen Untergebenen nur jeder zwanzigste, warnt die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren.
Michael Falkenstein von der Kaufmännischen Krankenkasse Halle (KKH) ist überzeugt, dass die meisten aus Scham zu spät Hilfe suchen. Betroffene leugnen meist, dass sie getrunken haben und machen andere für ihre Probleme verantwortlich.
„Das deckt sich absolut mit unserer Beratungspraxis“, sagt Gaby Guzek, selbst ehemalige Betroffene und Initiatorin der anonymen Betroffenen-Website www.alkohol-ade.com. „Es ist auffällig, wie viele Menschen in Führungspositionen anonym in unserem Forum Hilfe suchen und finden – Hochleister sind überproportional häufig dabei“.
Der Durchschnittsalkoholiker sitzt nicht vorm Hauptbahnhof – die meisten Alkoholiker sind intelligent, haben ein gutes bis sehr gutes Einkommen und einen gehobenen Sozialstatus. So steht es im „Alkoholatlas“, den die deutsche Bundesregierung erstellen ließ. Hochleister sind aber nicht nur Manager, die 16 Stunden am Tag arbeiten, sondern auch Mütter, die sich zwischen Haushalt, Kindern, Partnerschaft und vielleicht sogar noch einem Job völlig aufreiben. Leistungssportler trifft ebenso, oder Lehrer in einer stressigen Brennpunktschule. Anwälte, Journalisten – und jeder vierte Arzt trinkt zu viel.
„Es ist keine kaputte Psyche, die zum Trinken treibt, und ein Alkoholiker ist auch nicht schuldig“, sagt Guzek, die selbst gleichzeitig Geschäftsführerin eines Berufsverbandes und einer PR-Agentur war, als sie .begann, zu oft zur Flasche zu greifen „Wir haben berührende Geschichten in der Beratung erfahren: Etwa die eines Arztes, der sich genau ausgerechnet hat, ab welcher Stelle der Heimfahrt er den ersten Schluck nehmen kann, ohne dass er bei einer Polizeikontrolle strafbare Blutwerte hätte. Oder ein Manager aus der Top-100-Riege der deutschen Industrie, der ebenfalls nicht aufhören konnte, obwohl er es permanent versuchte – bis er bei uns die biochemische Ursache seiner Krankheit endlich verstand und sich davon lösen konnte“.
Chronische Überlastung verführt nicht nur zum Trinken. Sie raubt auch wichtige Nährstoffe, wie etwa B-Vitamine, Magnesium oder Vitamin C, was insbesondere das System der Nervenbotenstoffe zu Boden ringt. Dazu kommt: Wer ständig rennt, der achtet auch nicht immer auf gesunde Ernährung. Gleichzeitig treibt der Alkohol zu immer neuem Konsum an und raubt zusätzlich Vitalstoffe.
„Dem Alkoholismus bei Hochleistern liegt nach unseren Beobachtungen ein Nährstoff-Defizit zu Grunde“, erklärt Guzek, das durch chronische Überlastung ausgelöst wird. Alkohol manipuliert das Nervenbotenstoffsystem und sorgt kurzfristig für Wohlbefinden. Stress, Angst, Panik und auch die Symptome von Nährstoffmängel verstummen. Kurzfristig. Vorläufig. Denn am nächsten Tag wird er erneut benötigt. Die Kopf lernt: Ich fühle mich besser, wenn ich etwas trinke nach einem stressigen Tag. Nach einiger Zeit werden dann aus dem einen Glas zwei, später mehr – die Abwärtsspirale dreht sich.
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